Vernakulare Architektur: Arch.iv

Durch den Strukturwandel des ländlichen Raumes wurden in den letzten Jahrzehnten typische, über Jahrhunderte gewachsene, Baugestalten weitgehend ver­ändert oder vollständig abgebrochen wodurch wertvolles historisches Quellenmaterial zur Bautypologie und dem Siedlungswesen verloren ging. So konnten im Jahr 1970 im Raum Semriach/Windhof noch um die 15 Höfe mit kunstvollen Sgrafittofassaden (Datie­rungen in den Fassaden um 1600) lokalisiert werden. Sie sind heute verschwunden. Im Raum Birkfeld/Pöllau konnten ebenfalls zur gleichen Zeit noch etwa 10 Haken­höfe (Holzblockbau mit Strohdeckung) besucht werden, von denen heute keiner mehr existiert.

Die Architektur- und Kunstgeschichte befasst sich noch im­mer überwiegend mit der Stilgeschichte und Bauformenleh­re der Feudalarchitektur und des städtischen Raumes. Der Anspruch in der Architekturausbildung alle Lebensbe­reiche zu erfassen, macht es notwendig, in der Grundla­genforschung die nötigen Voraussetzungen für eine Ausei­nandersetzung mit dem Thema der anonymen Architektur des ländlichen Siedlungsraumes zu schaffen, solange es noch möglich ist. Als Voraussetzung für eine ebenso gründliche wie gewis­senhafte Aufarbeitung der vernakularen Hauslandschaften müssen exemplarische Beispiele mit technischen und stili­stischen Details erfasst werden, bevor sie zu Wochenend­häusern oder zu Museumsobjekten reduziert werden. Vor allem soll hier noch einmal besonders auf die Viel­falt der Erscheinungsformen der Bauernhausarchitektur in der Steiermark hingewiesen werden, die bisher meist einer oberflächlichen Typologisierung auf der Grundlage unzurei­chender Aufnahmen zum Opfer gefallen sind.

Basismaterial für die wissenschaftliche Aufarbeitung im Zuge dieses Projektes waren die an der Technischen Universität Graz zwischen 1972 und 1992 von Holger Neuwirth im Rahmen der Lehrveran­staltung „Bauaufnahmen“ entstandenen Dokumentationen, die etwa 160 Einzel- und Gruppenobjekte (Hofanlagen, Bauernhäuser, Scheunen, Ställe, Mühlen, Backöfen, Heu­harpfen, Almhütten u.a.m.) in der Steiermark behandeln. Die Dokumentationen beinhalten detaillierte Plandarstel­lungen der Bauwerke, die eine Analyse in Bezug auf Ty­pologien, Konstruktionsprinzipien, Gestaltungskriterien und verwendete Materialien zulassen, ergänzt durch Bildmate­rial und Beschreibungen. 

Um dieses Material zugänglich und eine interdisziplinäre Forschung möglich zu machen, war als erster Schritt eine digitale Aufarbeitung sinnvoll und notwendig. Diese Digitalisierung der Bauaufnahmen wurde durch Karten und Katasterauszüge ergänzt, wodurch die genaue Lokali­sierung der Objekte sichergestellt werden konnte. Zusätzlich wurde eine aktuelle Bestandsaufnahme der Objekte erstellt, um die Entwicklung in den unterschiedlichen Regionen zu analy­sieren. Die Ergebnisse machen deutlich, wie die räumliche Organisation aus den Lebensabläufen der Bewohner, die Materialaus­wahl aus den in der Region verfügbaren Baustoffen und die konstruktive Gestaltung aus dem Können der Baumeister und Handwerker entwickelt wurden. Das tiefere Verständnis der Bautradition soll zu neuen eigen­ständigen Lösungen herausfordern und somit eine Grundlage für die Erneuerung des Siedlungsge­bietes darstellen. 

http://bauernhaus.tugraz.at/einleitung.html

Vernakulare Architektur in der Steiermark – Folder

Projektlaufzeit: November 2009 – Dezember 2010

Projektfinanzierung: Das Land Steiermark / WKO / Gaulhofer

Projektteam: Holger Neuwirth, Carmen Auer